11.1.2 Unterstützte Kommunikation

Inhaltsverzeichnis

Schulinternes Curriculum #

Grundsatz:

Kommunikation ist ein menschliches Grundbedürfnis und eine wichtige Bedingung für das subjektive Erleben von Lebensqualität.

Ziel:

Um dies für alle Schülerinnen und Schüler unserer Schule zu gewährleisten, hat jedes Klassenteam das Ziel, dass den Schülerinnen und Schülern stetig ihr persönliches passendes Kommunikations-system zur Verfügung steht.

Organisationsform:

Unterstützte Kommunikation findet nicht nur in einem ausgewiesen Unterrichtsblock statt, sondern unterrichtsimmanent. Einzelförderung und UK-Gruppen können diese Förderung in den Klassen ergänzen.

UK – Standards an der Franz-Marc-Schule:

Jede Schülerin und jeder Schüler hat das Recht zu kommunizieren. Passende alternative Kommunikationsformen müssen zur Verfügung gestellt werden. Das Anbieten von unterstützter Kommunikation erfordert einen verantwortungsvollen Umgang mit alternativen Kommunikationsformen (z.B. Auswahl des Vokabulars, nachweisliche Qualifikationen im Umgang mit der jeweiligen UK-Form, Zusammenarbeit mit allen an der Förderung des Kindes Beteiligten).

Kommunikationsformen:

Das jeweilige Kommunikationssystem kann aus einem oder mehreren der folgenden Kommunikationsformen bestehen:

  • körpereigenen Kommunikationsformen (individuell)
  • Gebärden (schuleinheitlich: „Zeig’s mir… mit Gebärden“)
  • Kölner Tafel (basierend auf dem Kernvokabular von Boehnisch / Sachse)
  • PECS (schuleinheitlich: über Schülerfirma zu beziehen bzw. nach festgelegten Farbsystem nach der Kölner Tafel verwenden)
  • Talker (My Core über Rehamedia bzw. Metatalk über Rehavista)

Zielgruppen:

Bei der Auswahl der Kommunikationsform bzw. bei der Zielsetzung für die einzelnen Schülerinnen und Schüler richten wir uns nach den drei unterschiedlichen Gruppen nach von Tetzchner / Matissen, Einführung in die Unterstützte Kommunikation, Heidelberg 2000. S.80 ff.

  • Die erste Gruppe umfasst Schülerinnen und Schüler für die unterstützte Kommunikation ein Ausdrucksmittel darstellt. Bei Ihnen liegt eine große Kluft zwischen ihrem Sprachverständnis und ihrer eigenen Fähigkeit sich mit Lautsprache auszudrücken. Für diese Gruppe hat unterstützte Kommunikation den Zweck, ihnen auf Dauer ein Ausdrucksmittel zu verschaffen, mit dem sie ihr ganzes Leben lang in allen möglichen Situationen zurechtkommen.
  • Die zweite Gruppe umfasst Schülerinnen und Schüler für die Unterstützte Kommunikation eine Hilfe zum Spracherwerb darstellt. Hier dient UK nicht als dauerhafter Ersatz für die Lautsprache, sondern sie erfüllt viel mehr die Aufgabe, das Verständnis und die Anwendung von Lautsprache zu fördern. Sie soll als „Gerüst“ für die Entwicklung einer normalen Sprachbeherrschung dienen und auch für den weiteren Verlauf der Sprachentwicklung als Hilfestellung, wenn die Lautsprache nicht ausreichend verständlich ist.
  • Die dritte Gruppe umfasst Schülerinnen und Schüler, denen die unterstützte Kommunikation eine Ersatzsprache bietet. Hier muss die UK-Form sowohl vom Benutzer als auch vom Kommunikationspartner verwendet werden, weil die Lautsprache nicht als Mittel der Kommunikation eingesetzt werden kann.

Die unterstützte Kommunikation an der Franz-Marc-Schule zielt auf Schülerinnen und Schüler mit ganz unterschiedlichen Behinderungsformen und Kommunikationswegen.

Vokabular:

Bei der Auswahl des Vokabulars, das mit den Schülerinnen und Schülern erarbeitet wird, orientieren wir uns am Kernwortschatz, an den sogenannten Fokuswörtern und an Wortschatzmodulen (s.u.).

Dokumentation des Lern- und Entwicklungsstandes:

Zur Dokumentation des Entwicklungsstands einzelner Schülerinnen und Schüler im Bereich der unterstützten Kommunikation wird durch das Klassenteam ein Ich-Buch erstellt. So können auch neue Kollegen und Teams direkt an den bisherigen Kenntnisstand anknüpfen.

Unterstützung der Klassenteams durch die UK-Gruppen:

Zur Anbahnung oder Erweiterung einer alternativen Kommunikationsform können die Klassenteams durch die UK-Gruppen unterstützt werden.

Kooperation mit Eltern und Einrichtungen:

Nach Möglichkeit wird das Elternhaus, die Wohngruppe usw. miteinbezogen und die jeweilige Kommunikationsform erklärt, damit sie auch zu Hause benutzt werden kann.

Arbeitsschwerpunkte der Fachgruppe UK:

  • Materialsammlung von UK-Unterrichtsmaterialien
  • Materialerstellung und Zusammenarbeit mit der Schülerfirma
  • Unterstützung von Teams im Bereich UK
  • Mitarbeit in der UK-Regio Gruppe

Arbeit mit dem Kernwortschatz der „Kölner Kommunikationstafel“:

Der Kernwortschatz geht aus verschiedenen sprachwissenschaftlichen Untersuchungen hervor. Wörter aus dem Kernwortschatz sind die ersten Worte von Kindern, sowohl mit als auch ohne Behinderung. Ebenso besteht jegliche Kommunikation in allen sozialen Schichten bis zu 80 % aus Wörtern des Kernwortschatzes. Da die Worte des Kernwortschatzes in allen möglichen Situationen am häufigsten vorkommen, können sie im Alltag immer wieder eingesetzt und wiederholt werden.

Zur Vermittlung von kommunikativen Fähigkeiten und den Übertrag in den Alltag ist dies eine wichtige Voraussetzung. Der Kernwortschatz bietet so eine Möglichkeit die UK-Arbeit der natürlichen Sprachentwicklung anzupassen und günstige Voraussetzungen für den Spracherwerb zu schaffen.

Vorteile resultierend aus der Arbeit mit dem Kernwortschatz:

  • Mit dem langfristig angelegten Zielwortschatz für den UK-Benutzer kann das Erstellen von Materialien oder neu Erlernen von kurzzeitig benutzten Wörtern vermieden werden und mehr Ressourcen werden für die eigentliche Arbeit verwendet.

  • Mit dem Kernvokabular wird das Vermitteln von Kommunikation in spontanen Situationen erheblich erleichtert bzw. oft erst möglich.

  • Modellierungstechniken (s. Modellierungstechniken unten) rücken in den Mittelpunkt der Förderung. Sie eröffnen einen Weg, Schülern bei der Formulierung ihrer Gedanken zu helfen.

  • Der Kernwortschatz ermöglicht langfristige Ziele, die sich in kurzfristige Förderziele aufgliedern lassen und so in den Förderplan übernommen werden können.

Arbeit mit Wortschatzmodulen:

Der Kernwortschatz nach Sachse und Gails umfasst mehr als 300 Wörter, so dass es auch da noch schwer fällt eine Auswahl zu treffen.

Wortschatzmodule bieten dazu einen vielversprechenden Förderansatz, um eine Förderung des kritischen Kernwortschatzes stetig und langfristig zu gewährleisten. Da lang- und kurzfristige Ziele gleichermaßen im Auge behalten werden, sind solche Module auch hilfreich bei Schülerinnen und Schülern, die über viele Jahre UK-Förderung erhalten. Weiter bieten sie einen Ansatz, um das Vermitteln von Wörtern situationsübergreifend zu gestalten.

Erstellung von Wortschatzmodulen:

  • Wählen Sie erste Wörter aus (50 – 150 Wörter).
  • Wählen Sie mindestens ein Wort für jede der wichtigen Kommunikationsfunktionen (s. Tabelle unten).
  • Benutzen Sie Worthäufigkeitslisten, um erste Zielwörter zu identifizieren.
  • Ergänzen Sie zusätzliche Wörter für häufige Aktivitäten (z.B. für Rollenspiele „waschen“, „halten“, „groß“).
  • Ergänzen Sie zusätzliche Wörter für wichtige semantische Kategorien (Leute, Orte, Zeit).
  • Fügen Sie wichtige „kleine“ Wörter“ hinzu (z.B. „und“, „dann“, etwas“)
  • Berücksichtigen Sie die frühe Anwendung verschiedener Wortformen (z.B. „ist“, „hat“)
  • Ordnen sie die Wörter den zwölf Modulen zu.

Module in der Förderung:

Es ist wichtig zu betonen, dass Module nicht erstellt werden, um sie in einer festen Reihenfolge zu vermitteln. Vielmehr hilft dieser Ansatz, den Förderprozess zu organisieren.

  • Führen Sie Wörter, die in der Sprachentwicklung früh vorkommen, zuerst ein.
  • Entwickeln Sie die Ideen und Abläufe, um die einzelnen Wörter zu vermitteln (z.B. am Ende einer Aktivität entscheiden lassen:  „noch mal“, „mehr“ oder „was anderes“ oder auch „stop“ und „fertig“, wenn der Schüler müde ist oder gelangweilt ist, oder absichtlich Teile vergessen und danach „suchen“ oder „weg“ benutzen, oder Zugang zu Sachen durch Hindernisse blockieren, so dass um „Hilfe“ gefragt ist oder „machen“, usw.)
  • Benutzen Sie Modellierungstechniken und andere Ansätze, um weiteres Kernvokabular zu vermitteln.

(Beispiel-)Kernwortschatz für zwölf Module – Kommunikationsfunktionen mit den entsprechenden Zielwörtern:

1. Erstes Steuern von Aktivitäten: da, das, machen, mehr, anders, weg, fertig, noch mal

2.Sich selbst, andere Personen und Besitzverhältnisse benennen: ich bin, meins, du, bist, deins, er, sie, eigener Name, Familie, Mama, Papa, Schwester, Bruder, Freund, Lehrer, mir, dir, selber

3.Verneinung ausdrücken: nein, nicht, anders, falsch, kein

4. Zeitliche Aspekte einer Aktivität steuern: jetzt, später, langsam, schnell, warten, Halt

5.Um eine Handlung bitten oder eine Handlung steuern  kommen: tun, machen, finden, sagen, holen, sehen, gehen, nehmen, erzählen, halten, legen, schauen, stellen, mich, dich, alleine, mit

6. Eine Aktivität beschreiben oder kommentieren: gut, schlecht, heiß, kalt, groß, klein, Spaß, lustig, nass, trocken, schwer, leicht, neu, alt, schnell, langsam, hart, weich, auf, zu, voll, leer, falsch, richtig, blöd, witzig, doof, toll, am besten

7.Um Gegenstände bitten und Gegenstände bemerken: das (da), Ding, bisschen, wenig, alles, auch, haben

8. Positionen bezeichnen oder steuern:  ein, aus, in, an, hoch, oben, unter, unten über weg, hier, da, hinten, vorne, neben, auf, hin, her

9. Um Informationen bitten: Frage, wer, wann, wo, warum, wie, was, wie viel

10. Persönliche Eigenschaften oder Gefühle ausdrücken: bin, bist, ist, sind, traurig, glücklich, gut, zufrieden, müde, Angst, lieb, nett, langweilig, wir, mir, mit, dir, schlecht,

11. Einzelne Handlungen bezeichnen oder steuern: fragen, reiten, kaufen, singen, zählen, sitzen, liegen, teilen, malen, schlafen, anziehen

12. Weitere Zeitkonzepte ausdrücken: Morgen, Nachmittag, Mittag, Nacht, gestern, heute, später, danach, bald, dann (zu)erst, wenn

Arbeit mit Fokuswörtern:

Aus dem beschriebenen Zielwortschatz werden nun 5 – 6 Wörter ausgewählt, die für einen festgelegten Zeitraum in den „Fokus“ rücken, d.h. sie werden unter Rückgriff auf die Strategien der Wortschatzvermittlung (s.u.) in unterschiedlichen Situationen konsequent angewandt (auf Kommunikationstafeln werden diese Wörter dann z.B. durch einen farbigen Punkt markiert). Diese Wörter bilden die Fokuswörter. Sind die Fokuswörter nach dem festgelegten Zeitraum erlernt, bzw. können Nachahmung und eigene Anwendung beobachtet werden, so werden sie durch neue Fokuswörter ausgetauscht. Ist dieses nicht der Fall, so bleiben die gleichen Fokuswörter für einen weiteren festgelegten Zeitraum bestehen.

In der folgenden Tabelle sind Beispiele solcher Fokuswörter zu finden:

Strategien zur Wortschatzvermittlung

  • Kontext beachten und erweitern
    • Das Wort im Kontext vermitteln
    • Requisiten einsetzen, um die Metapher einer Darstellung zu vermitteln (z.B. „in“ zuerst mit einem echten Glas beibringen)
    • Weitere Aktivitäten planen, um neue Bedeutungen eines Wortes zu vermitteln (z.B. „schwer“ = Gewicht und dann „schwer“ = Anforderung)

  • Darstellungsregeln in Bildern vermitteln z.B. Richtungen und Striche

  • „Aided Language Stimulation“ (sprachliches Nachahmen anregen)

Dies ist eine Grundtechnik der Unterstützten Kommunikation. Während der Kommunikationspartner (KP) mit dem UK-Benutzern spricht, benutzt er das Kommunikationssystem z.T. mit. Wie im normalen Sprachentwicklungsprozess vermittelt der KP durch Vorbildsein (sog. „Modellieren“) neue Fähigkeiten.

  • Zielwörter häufig modellieren
  • Ein bis zwei Wörter mehr pro Äußerung modellieren, als das Kind z.Z. benutzt (s. Modellierungsstrategien)
  • Tempo anpassen, damit das Kind Neues genau beobachten kann
  • Modellieren lautsprachlich begleiten
  • Art der Hilfe der Situation anpassen (s. „Warten und Erwarten“)
  • Warten und Erwarten

Warten und Erwarten (W&E) ist eine weitere Grundtechnik in UK. Wir warten (10 bis 15 Sekunden!) und erwarten eine Äußerung des Kindes („wait and pray“). Unsere Hilfe können wir der jeweiligen Situation entsprechend „dosieren“:

  • Stufe 1: Offener Austausch
    • Hilfe z.B. beim Lesen: „Erzähl mir etwas über den Jungen!“ (W&E)
    • oder „Schau mal, wo der Junge ist!“ (W&E)
  • Stufe 2: Direkte Hinweis
    • Zwei Ideen zur Auswahl geben: “Sag mir, wo der Junge ist oder was er gleich macht!“ (W&E)
    • Wörter zur Auswahl geben: „Lass uns Wörter anschauen, die du mit dem Talker sagen könntest. Hier sind die „Wo-Wörter“. Vielleicht ist er „über“ oder „unter“ oder „auf“. (W&E)
  • Modellierungsstrategien
    • In der Sprachtherapie wird zwischen drei verschiedenen Modellierungstechniken unterschieden (s. Dannenbauer 1999). Diese sind genauso für die UK-Förderung anwendbar:
    • Expansion: Wir erweitern die Aussage des Kindes um ein bis zwei Wörter. Der Schüler sagt z.B.: „unten“, wir erweitern die Äußerung und modellieren „unten sitzen“.
    • Extension: Wir modellieren ein Verbindungswort in der Erwartung, dass der Schüler weiter redet. Der Schüler sagt z.B. „unten“, wir modellieren „und“ oder „weil“ in der Erwartung, dass das Kind z.B. „sitzen“ ergänzt.

  • Korrektives Feedback:
    Wir bilden eine Aussage des Kindes neu, indem wir eine „korrekte“ Äußerung benutzen (Satzstellung, Endung oder Wortwahl). Der Schüler sagt z.B. „groß Kind“, wir zeigen „ein großes Kind“.

Strategien zur Vermittlung von Syntax:

  • „Modellieren, modellieren, modellieren!“
  • Wortarten kodieren (wie bei PECS–Karten)
  • Notwendigkeit verschiedener Wortarten in einer Äußerung betonen, z.B. „Wir machen einen Regenbogensatz“.
  • Grammatikalische Konzepte mit Assoziationen verdeutlichen, z.B. erfundene Personen können verschiedenen Wortarten zugeordnet werden. In der Förderung können diese benutzt werden, um mit Geschichten, Liedern oder Gedichten Konzepte zu vermitteln.

Glossar:

  • Bildproduzierende Worte: Wörter, die mit einem konkreten Bild klar darstellbar sind (z.B. Haus, Auto). Fast kein Bild des Kernwortschatzes ist bildproduzierend.
  • Kernwortschatz: Die Wörter der Sprache, die am häufigsten gebraucht werde. Die am häufigsten gebrauchten 100 bis 200 Wörter machen ca. 80% der gesprochenen Sprache aus.
  • Morphologie: Teilbereich der Grammatik. Lehre von der Funktion der kleinsten sprachlichen Zeichen.
  • Semantik: Lehre von Bedeutungen und Inhalten von Wörtern und Zeichen.
  • Syntax: Teil der Grammatik. Beschäftigt sich mit dem Bau und der Gliederung des Satzes, von einer Zwei-Wort-Äußerung bis hin zu einer Haupt- Nebensatz-Konstruktion.